Vorwort
zum dem Buch
„
Sein Kampf 1941 bis 1945“
von
Rudolf Zipp Kirchzell
Mein
Vater Rudolf hat seine Kriegserlebnisse auf Zetteln notiert.
Im
Jahre 1972 hat er diese Zettel in ein Schulheft aufgeschrieben.
Im
Jahre 2005 habe ich dieses Schulheft (im Besitz von Ludwig Zipp) in den
Computer eingescannt.
Aus
dem original Geschriebenen habe ich ein Büchlein zusammengestellt.
Im
Jahre 2014 habe ich dieses Büchlein abgeschrieben.
Es
wurden dabei die Rechtschreibfehler und die Grammatik extra nicht verbessert.
Rudolf
Zipp geboren in Kirchzell
am:
19.April 1900
Ehe
mit Hildegunde geb. Haas aus Watterbach
am:
26.April 1932
Verstorben
in Kirchzell
am:
02.November 1986
geschrieben:
Werner
Zipp Schneeberg/Odw
im
Juni 2014
1941
Am 02. April 1941 musste ich
einrücken nach Aschaffenburg in die Bois
Bruele Kaserne, Landeschützen Bataillon 106.
Nachdem ich am rechten Auge
sehbehindert war, wurde ich als Linksschütze ausgebildet.
Schon nach 14 Tage bekam ich
samstags Urlaub zur Erstkommunionfeier von Ludwig. Nach einigen Wochen
Ausbildung, kam ich Pfingstsamstag nach München in die Blumenschule als
Feldbäcker, aber schon nach 4 Tagen musste ich wieder zurück nach
Aschaffenburg. Dabei fuhr ich über Würzburg und Seckach nach Kirchzell, blieb
hier 1 Tag und dann nach Aschaffenburg. Bekam 8 Tage Urlaub zur Heuernte. Nach
dem Urlaub wurden wir nach Wetzlar verladen.
Im Wehrpass war eingetragen „
G.V. Feld (für Heimat). Nicht K.V.D. (ist kriegsverwendungsfähig und Front).
Wetzlar
Hier wurde ein neues Bataillon
zusammengestellt von lauter Soldaten die G.V. Heimat waren. Von Kirchzell war
Gustav Herkert dabei, der später gefallen ist. Nach einigen Wochen ging es ab
nach Posen (im Güterwagen)
Posen
in Polen
In Posen kamen wir in die
Kuhndorfkaserne zum Wache schieben. (Munitionslager). Das Essen war hier noch gut. Es gab auch 14
Tage Urlaub.
Eines Tages wurde ich mit 100 Mann zu einem
Transport zusammengestellt.
Wir fuhren mit der Bahn ab
Posen nach Berlin, Hanau nach Paris, dann nach Chantilly (Oise). Wir wohnten
hier in einem Schlösschen von Rothschild, und holten mit der Bahn Pferde aus
Paris (großer Schlachthof). Die Pferde ließen wir in einem Park in Chantilly
springen.
Am anderen Tag fahren wir mit
der Bahn nach Brest an der Meeresküste in Südfrankreich.
Wir mussten auf eine Anhöhe
zu einem Bauerndorf, hier wurden die Pferde gemustert und abgeführt, jeder Mann
4 Pferde. Ich wartete bis zuletzt, weil die Pferde böswillig waren.
Aber ich hatte Pech, die
letzten Soldaten bekamen jeder 1 Hengst zum Abführen, so auch ich. Dieselben
waren noch närrischer, stiegen hoch, liefen manchmal auf 2 Beinen, aber wir
haben es geschafft bis zum Bahnhof.
In Chantilly wurden dann 400
Pferde verladen, in 1 Waggon 8 Stück und 2 Mann. Marschverpflegung war
reichlich, so fuhren wir wieder zurück (geschlafen wurde in den Waggons bei den
Pferden) über Belgien, Holland nach Posen.
Der Transport hin und zurück
dauerte 4 Wochen. Es war interessant und viel zu sehen.
Jetzt bekam ich wieder 14
Tage Urlaub bis zum 4. Dezember 1 Tag vor Nikolaus.
Dieser kam daher bei uns
einen Tag früher.
Rempertow
in Polen
Zwischen Weihnachten und
Neujahr hatten ein Kamerad und ich einige hundert Krapfen gebacken für die
Kompanie.
Am Neujahrstag 1942 wurden
wir wieder verladen nach Rempertow hinter Warschau. Essen gab es hier ganz
wenig. Ich ließ mir von zuhause Briefe senden im Brief 50 gr. Schinken.
Paketpost war gesperrt. Eines Tages hatten wir am Schießplatz Schießübung.
Ich war beim Vorkommando, wir
mussten eine Stunde früher abmarschieren zum Schießstand. Bis die Kompanie
ankam, waren wir schon richtig durchgefroren (bis 30 Grad Kälte).
Nachdem ich meine Übung sehr
gut geschossen hatte, bekam ich noch 2 extra Schuss; aber meine Finger waren
schon ganz gelb gefroren. Darum musste ich sofort zurück zum Sanitäter.
Nach einigen Tagen löste sich
die Haut an den Fingern und ging weg. Jetzt hatte ich einige schöne Tage.
Eines Tages wurden wir wieder
gesondert. Ich war G.V. Feld geschrieben und sollte mit der Kompanie nach
Russland, als Ältester der Kompanie.
Gustav Herkert aus Kirchzell und fast die ganze Kompanie sollten zurück nach
Deutschland. Nur 15 Mann und ich sollten nach Russland. Mein Feldwebel schickte
mich in den Stall, bekam 2 Pferde und sollte in Russland die Feldküche fahren.
Nachdem ich einige Tage im Stall ruhige Tage
verbrachte, meldete ich mich eines Morgens zum Arzt wegen meinen Augen. Der
aber jagte mich fort. Aber am anderen Tag ging ich trotzdem noch mal hin und
verlangte eine andere Brille. Da er mir keine verschreiben konnte, schickte er
mich nach Warschau zum
Augenarzt.
Das war mein Glück. Der
Augenarzt ein älterer Herr untersuchte meine Augen gründlich und erklärte mir,
dass ich nicht nach Russland einsatzfähig wäre. Ich bat ihn, dass er mir es
schriftlich geben möchte, für meinen Hauptmann. Dieses Schriftstück gab ich in
der Schreibstube ab. Nach wenigen Tagen fuhr ich mit dem Bataillon nach
Deutschland zurück. Unterwegs blieb die Bahn im Schnee stecken und zwar in
Deutschland. Es war Anfang März. Wir gingen in ein Bauernhaus nahe am
Bahngelände, rasierten uns und tranken Kaffee. Nach 24 Stunden Wartezeit kam
noch eine Lokomotive, die uns nach Deutschland brachte. Als Kinderreicher mit 4
Kinder kam ich nach Hanau.
Hanau
Samstag Mittag kamen wir in
Hanau in die Hessen Homburg Kaserne. Sofort bekamen wir ein Gewehr und sonstige
Ausrüstungsgegenstände und mussten schon sonntags Mittag auf Wache ziehen und
zwar immer mit Musik. Es war eine richtige Zirkuskompanie. Jeden Tag exerzieren
mit Parademarsch, den ich mit meinen Einlagen schlecht fertigbrachte. Also eine
halbe Stunde nachexerzieren. Wir hatten alle die Nase voll.
An einem Sonntagmittag kam
ich gerade von der Wache, da stand meine Frau am Kasernentor, sie blieb dann
bis Montag früh.
Morgens 7 Uhr traten wir
wieder zum Dienst an. Der Hauptmann fragte: wer kann schlecht laufen. Ich
meldete mich, da bekam ich ein Fahrrad und musste hinter der Kompanie
herfahren. Die Musik vorne weg, der Hauptmann auf dem Pferd, ich hintendrein.
War prima. Aber bei der Geländeübung, musste ich den Feind suchen und danach
dem Hauptmann Meldung machen, wo dieser war. Hat geklappt. Auch konnte ich von
Hanau 3 Tage in Urlaub fahren.
Eines Tages wurde unsere
Kompanie nach Gießen verlegt.
Gießen
Hier in Gießen kam ich in die
alte Zeughauskaserne. Wir mussten exerzieren und Wache schieben.
Eines Tages wurden wir alle
untersucht, von einem älteren Arzt. Ich meldete ihm dass ich schlecht laufen
kann und am rechten Auge fast blind bin und links kurzsichtig. Er fragte mich
ob ich nicht in die Heeresbäckerei wollte, was ich bejahte.
Heeresbäckerei
Gießen
Tags darauf meldete ich mich
in der Heeresbäckerei. Es waren hier fast lauter Soldaten. Ich bekam als
Selbstverpfleger Lebensmittelkarten und täglich 3Mark neben der Löhnung.
Die ersten 3Tagen musste ich
an den 7 Doppelauszugsöfen ausbacken. Ich schwitzte kollosal. War alles nicht
mehr gewohnt und dazu im Sommer. Der Oberbäcker schickte mich jetzt an einen
Ofen in dem die verpackten Brote sterilisiert wurden für Afrika. Wir waren zwei
Mann und konnten gemütlich arbeiten.
Eines Tages ging die
Backstubentüre auf und neben mir stand ein Kirchzeller namens Speht der
Ehemann von der Amanda Speht.
Er ist später gefallen. Ich
gab ihm einige Brote, die er mit nach Hause nahm, als er 2 Tage später in
Urlaub fuhr.
Auch ich fuhr eines Tages in
Urlaub, wobei ich einen Koffer mit Brot verpackte und mit nach Hause nahm.
Eines Tages kam ein Arzt und
untersuchte jeden Bäcker, da ich G.V.Feld geschrieben war im Wehrpaß, sollte
ich wieder nach Russland und kam nach Mühlhausen ins Krankenhaus.
Da selbst wurde ich vom Arzt
untersucht und G.V. Heimat geschrieben. In Mühlhausen sollte ich in den Stall
zu Pferden, habe aber abgelehnt. Eines Tages traf ich hier einen Kameraden aus
Posen, der hier in der Schreibstube war.
Er gab mir den Rat: “Gehe in
die Karteistelle und sage dort wo du hin willst. Ich erklärte dort, ich möchte
gerne zum Bataillon 633 nach Bad Orb. Das wurde mir auch genehmigt. Am Abend
beim Antreten, wurde ich verlesen, dass ich schon am nächsten Morgen nach Bad
Orb abreisen müsse.
Bad
Orb
In Bad Orb begab ich mich
sogleich zum Bataillonskomandeur. Derselbe ein älterer Herr fragte mich wo ich
zu Hause bin. Nachdem ich ihm erklärte, dass ich bei Miltenberg wohne, schickte
er mich nach Obernburg in die 2.Komp.Btll:633
Obernburg
Ich fuhr sofort in Richtung
Obernburg, stieg aber nicht aus, sondern fuhr weiter nach Kirchzell. Am anderen
Morgen fuhr ich mit dem 1. Zug nach Obernburg. Gleich über der Brücke war die
Schreibstube, wo ich mich meldete.
Als Kontroll-Feldwebel war
hier Max Schork aus Amorbach,
der mich gut kannte und gleich zurief.
Bei der Komp.waren mehrere
Kirchzeller.
Ich selbst wurde nach
Pfohlbach geschickt als Wachmann.
In Eichenbühl war
Wilhelm Rüger als Wachmann. Bei Schreiner Konrad hatte ich meine
Wohnung. Rüger fuhr jetzt einige Tage nach Kirchzell. Als er wieder kam fuhr
ich einige Tage nach Kirchzell, so wechselten wir ab. Aber das ging nur einige
Wochen.
Eines Tages bekam ich Befehl
vom Hauptmann, dass ich nach Weilbach versetzt werde, dort sollte ich Gefangene
bewachen, mittags nach Kirchzell fahren und bei Berberich helfen.
Berberich war der einzige
Bäcker in Kirchzell. Das wollte ich aber nicht. Ich kam trotzdem nach Weilbach.
Weilbach
Hier kam ich zu Herrn Otto
Hennig Tüncher. Essen bekam ich bei Herrn Renfer, jetzt Kirchzeller.
Ich hatte hier im Ort die
Gefangenen zu bewachen. Im Eisenwerk war ein anderer Wachmann. Morgens besorgte
ich die Post für die Gefangenen, mittags fuhr ich nach Kirchzell und besorgte
meine Landwirtschaft. Wir hatten nämlich 2 Kühe im Stall. Bei Bäckerei
Berberich brauchte ich nicht zu helfen, das wollte er nicht.
An Weihnachten kam der
Wachmann vom Eisenwerk weg und ich musste dort die Arbeit mitmachen. An
Pfingsten nahm ich Erhard mit nach Weilbach. Er blieb die Nacht über bei mir.
Nächsten früh gingen wir auf den Gotthardsberg.
Eine zeitlang half ich auch
dem Löwenwirt in der Backstube. Hier hätte ich den Krieg aushalten können, aber
die Kompanie wurde gewechselt, so kam unsere nach Frankfurt am Main.
Frankfurt
a.M
Als ich hörte, dass wir hier
in Weilbach weg sollten, hatte ich beim Hauptmann beantragt, dass ich in
Weilbach bleiben könnte.
Aber jeder Kirchzeller wollte
in der Nähe von Kirchzell bleiben. So ging das nicht.
Ich kam nun nach Frankfurt in
die Festhalle. Hier hatten wir 300 Russen zu bewachen, die in einer Fabrik
arbeiteten.
Auch hier war es zum Aushalten. Es dauerte
aber nicht lange, da kamen Fliegerangriffe auf die Stadt. Bei jedem Angriff
mussten wir die 300 Russen in Deckung bringen und zwar in einen unterirdischen
Gang, der nur mit 1,00 Meter hoher Erdschicht bedeckt war. Wenn hier eine Bombe
draufgefallen wäre, so wären wir alle tot gewesen. Aber wir hatten Glück,
während hüben und drüben Bomben fielen. Auch Luftminen fielen, bei denen die
Luft aus der Lunge gezogen wurde und Jeder nach Luft schnappte.
Nach solch einem Angriff sah
es in der Stadt furchtbar aus. Durch die vielen Brandbomben, brannten viele
Häuser, andere Bomben brachten die Häuser zum Einsturz. Vor jedem Angriff kamen
die Flieger und warfen Leuchtkugel ab, die aussahen wie Christbäume. Damit
steckten sie die zu bombardierenden Stadtteile ab. Danach ging es mit den
Bomben los. Ich bekam auch 14 Tage Urlaub und arbeitete in Kirchzell auf dem „ Legacker“. Dabei hörte man ein dumpfes
Gedröhne. Frankfurt hatte seinen größten Angriff.
Nach einigen Tagen fuhr ich
abends wieder zurück nach Frankfurt.
Dort sah es überall sehr
schlimm aus.
Nach einiger Zeit wurden sämtliche Soldaten,
die nur auf einem Auge sahen nach Bonames geschickt. Auch ich war dabei.
Bonames
In Bonames sollten wir im
Keller übernachten auf Stroh. Um 5 Uhr wurde geblasen zur Befehlsausgabe für
den nächsten Tag. Da es uns weiter nichts anging, so lief ich doch mal hin, um
zu hören.
Als der Feldwebel kinderreiche
Leute suchte, trat ich auch mal vor und meldete mich. Ich wurde angenommen.
Sofort mussten wir auf die Schreibstube und bekamen einen Fahrschein nach
Kassel. Wir fuhren noch in der Nacht ab. Samstag früh kamen wir dort an.
In Kassel war auch schon
vieles kaputt.
Wir meldeten uns in der
Jägerkaserne. Hier bekam ich und noch ein Mann einen Fahrschein, Wurst und Brot
und sollten einen Waggon mit Eisenteilen nach Tarbes in Südfrankreich
begleiten. (Nähe von Lourdes).
Samstags liefen wir durch die
zerstörte Stadt zu den Henschelwerken. Da wurde uns erklärt, dass der Waggon
schon am Südbahnhof wäre, also liefen wir dorthin. Wir suchten den ganzen
Güterbahnhof ab, aber fanden ihn nicht. Da erklärte uns der Bahnhofvorstand,
der Waggon sei als leerer Wagen nach dem Ruhrgebiet abgeschoben worden.
Telefonisch ließ er ihn nun
dort anhalten und abstellen. Wir schliefen die Nacht über im Bahnwärterhäuschen
auf der Bank. Sonntag früh fuhren wir ins Ruhrgebiet ab. In Geiseke fanden wir
unseren Waggon.
Am 14. Febr. 1944 morgens 3 Uhr ab nach
Vohwinkel weiter nach Köln. In dieser Zeit ist Werner auf die Welt gekommen,
wovon ich 14 Tage lang keine Ahnung hatte. Wir fuhren weiter über Mannheim, Mainz, Straßburg,
Mühlhausen (Elsass). Am 18.Februar 1944 kamen wir nach Dolle.
Am 18. bis 22. Februar 1944 in Schalong an der
Savne.
Vom 22. bis 27. Februar 1944
in St. Germain bei Lyon.
Am 27. Februar 1944 in Lyon. Wir waren auf den
Güterbahnhöfen manchmal 2 bis 4 Tage abgestellt. In Lyon holte ich mir am
Bahnhof frische Verpflegung und auch 2 große Teller Nudelsuppe. Mit unserm großen
Fahrausweis konnte man alles haben, was uns zustand, sogar Schnaps. Nun gings
weiter nach Gruas hier sah man Berge wie blanker Zement. Wir fahren weiter
diesmal in einem Holzwollewagen. Am 1. März kamen wir in Montpellier an. Die
Fahrt ging jetzt am Meer entlang. Man sah Wasser und Schiffe nach Duponett. Am
2. März kamen wir in Castelnandari an.
Auf dem Güterbahnhof standen
ganze Waggonladungen mit vollen Weinfässer. Wir suchten uns eines aus, das
nicht mehr ganz dicht war, bohrten mit dem Messer, bis Wein auslief. Jetzt
füllten wir unsere Kochgeschirre voll. Schade dass wir keine leere Flaschen bei
uns hatten. Da wir in einem Führerhäuschen über Nacht schliefen, tranken wir
bis spät in die Nacht den Wein.
Am anderen Tag füllten wir noch mal auf. Da
hatten wir den ganzen Tag noch zu trinken.
Unsere Fahrt ging weiter, wir
standen den ganzen Tag im offenen Waggon, durch die scharfe Pyrenäen Luft und
Wein waren unsere Gesichter ganz rot; so kamen wir in Tarbes an am 03.März 1944
abends.
Wir schliefen nochmals im
Waggon und am 04.März 1944 lieferten wir denselben ab. Jeder bekam 100 Franken
und 1 Tafel Schokolade. Jetzt wollten wir uns hier einige Tage aufhalten, aber
es wurde uns erklärt, der Amerikaner kann hier jeden Tag seine Truppen landen,
dann könnt ihr nicht mehr heim und kommt an die Front. Nachdem ich mir noch
eine sehr gute Flasche Wein in der Kantine gekauft hatte, fahren wir abends
wieder ab.
Die Flasche Wein nahm ich mit
nach Kirchzell. Wir fahren zurück nach Lyon, Mühlhausen, hier übernachtet.
Weiter nach Straßburg,
Mannheim, Darmstadt, Frankfurt und Bebra nach Kassel. Dort meldeten wir uns in
den Henschelwerke.
Die waren erstaunt, dass wir
schon hier sind ( 4 Wochen unterwegs).
Wir hätten ruhig 8 Tage
später kommen können, sogar einige Tage nach Kirchzell fahren können mit dem
großen Fahrschein konnte man überall hin. Aber es ging wieder nach Bonames.
Hier sammelte sich ein Haufen
Post für mich an. Denn ich konnte nach Hause schreiben. Ich selbst bekam
während des Transportes überhaupt keine Post.
Als erstes öffnete ich ein Telgram,
worin die Geburt von Werner am 15. Februar 1944 angemeldet wurde. Daraufhin bekam
ich vom 13. März bis 30. März 1944 Erholungsurlaub. Nachdem Erholungsurlaub
gings wieder nach Bonames. Da hatte ich jeden Tag was anderes zu tun. Einmal
half ich bei den Pflasterer, dann bei den Tünchner, dann musste ich einige Tage
lang in Frankfurt die Straßen von den eingestürzten Mauern säubern. Eines Tages
meldete ich mich nach Seckbach zu einer Brandwache. Ich lief morgens 10 Uhr
nach Seckbach blieb dort über Nacht, ging morgens wieder nach Bonames. Das ging
8 bis 10 Tage lang.
Eines Tages mussten wir nach
Bad Vilbel zum Schießen, da ich zufällig der beste Schütze des Tages war, bekam
ich vom Feldwebel 10 Mark. Herr Hauptmann versprach mir 3 Tage Urlaub, den ich
aber nicht bekam. Nach dem Schießen wurden sämtliche Kinderreiche verlesen und
in die andere Kaserne abgestellt zu einem neuen Bataillon, das mir keinen
Urlaub geben konnte.
Nach
Italien
Das neue Bataillon war
zusammengestellt von lauter Kinderreichen, Volksdeutsche, Polen und wenige
Deutsche Soldaten. Deshalb musste ich gleich als Gefreiter, den
Unteroffiziersdienst machen.
Für den Feldwebel musste ich
in Frankfurt eine Karte kaufen von Italien, also wusste ich sofort wo die Reise
hingeht.
Am 12.Juni 1944 abends halb
sieben in Bonames abgefahren über Aschaffenburg, Würzburg, Treuchtlingen,
Augsburg, München. Hier hatten wir Fliegeralarm. Am14.Juni 1944 morgens 6 Uhr
in Kufstein, mittags in Insbruck. Nachdem ich unter der offenen Waggontür
stand, ging eine Frau vorbei und reichte mir einen Korb mit Kirschen. Meine
Kameraden und ich hatten den Korb schnell geleert und gegessen. Dabei flog ein
Stein durch die offene Waggontür. Ein eifersüchtiger Feldwebel hatte ihn
geworfen. Die Fahrt ging weiter übern Brennen. Heuernte im Tal -
Schnee auf den Bergen. Weiter nach Sterzing, Brixen, Bozen. Am 15.Juni
1944 St.Felix, Crevalcore, Fliegeralarm.
Bologna
In einem alten Kloster Cijordon
bezogen wir Qartier inmitten der Stadt auf einer Wiese mussten wir exerzieren.
Nachdem wir öfter
Fliegeralarm hatten marschierten wir am 23.Juni 1944 ab ins Gebirge (Appenin)
in den Wald und bauten uns ein Zeltlager. Hier lebten wir gut bis 23.Juli 1944.
An diesem Tag marschierten wir abends ab nach Bologna zurück. Außerhalb der
Stadt warteten wir auf LKW, die uns weiterbringen sollten. Um halb elf Uhr
abends nahm uns 10 Mann ein LKw mit nach Forli, Rimini.Außerhalb der Stadt
machten wir 1 Tag Rast. Da kamen Italiener vorbei und verkauften uns Birnen und
Brot.
Als es Nacht wurde zogen wir weiter, legten
uns wieder ins Gras und schliefen bis morgens.
Mit einem vorbeifahrenden LKW fahren wir nach
Mondano. Hier lagen wir in einem Klostergebäude. Da war es kühl, denn die Hitze
war schlimm. Da wir eines Tages kein Brot mehr bekamen vom Bataillon, sondern
nur Mehl, mussten der Koch und ich in einer Bäckerei im Ort Brot für die
Kompanie backen. Da holten wir uns außerhalb des Ortes einige Reisigbüschel zum
Heizen des Ofens. Derselbe war ein einfacher Bauernbackofen.
Den Teig machten wir mit der Hand. Beim
Einschiessen der Brote lag die Schießerstange auf der Ladentheke.
Im Laden wurde nämlich eingeschossen, so
primitiv war alles in Italien. Ein Italiener brachte Brot zum Einschiessen.
(Brot ohne Salz). Das Salz war hier sehr knapp und teuer. Wir hatten auch ein
Fuhrwerk, 2 Ochsen und 1 Wagen, damit holten wir unseren Proviant. Unser Fahrer
hatte seine Ochsen im Stall vom Pfarrer. Der Fahrer fand im Stall einen halben Sack
mit Salz. Er verkaufte es dem Pfarrer für einige hundert Lire.
Also hat der Pfarrer sein
eigenes Salz gekauft ohne dass er es wußte.
An einem Sonntag morgens um 4
Uhr marschierten wir wieder weiter nach
Sankt
Angelo
Mittags um 12 kamen wir dort
an, natürlich nass geschwitzt. Da ich als letzter dort ankam, schickte mich der
Feldwebel mit 1 Mann nach
Ginestreto
hier sollte ich für 12 Mann
Quartier machen. Da wir nicht italienisch sprechen konnten fiel es mir schwer,
mit den Leuten zu verhandeln. Wir gingen erst mal in die Schule, aber die war
belegt mit Flüchtlingen von der Stadt. Nun fanden wir ein Haus, aber da wohnten
lauter Schwestern. Wir erklärten ihnen, sie bekämen 12 Mann als Einquartierung.
Da gaben sie uns sogleich
einige eiserne Bettstellen, die wir im Saal vom Postamt aufstellten. Auch wir 2
Mann sollten hier übernachten.
Jetzt machten wir uns im Hof ein kleines
Feuerchen und kochten ein mitgebrachtes Huhn mit Reissuppe. Viele Einwohner,
Frauen standen um uns herum und schauten uns zu. Am anderen Morgen marschierten
wir wieder zurück nach St. Angelo. Die 12 Mann kommen überhaupt
nicht. War alles unnötig.
Sankt
Angelo
In St. Angelo hatten wir es
gut. Einmal war ich dabei bei den Bauern Vieh und zwar Ochsen zu holen. Wir
fahren mit dem LKW ins Gebirge, wo einsame Bauernhöfe standen. Vor einem kleinen
Ort stiegen wir ab. Da ich der älteste Soldat war durfte ich hier bleiben und
den LKW bewachen. Ich setze mich am Rand eines Maisfeldes hin, wo ich alles
übersehen konnte. Auf einmal hörte ich im Maisfeld etwas rascheln, ich machte
mein Gewehr schussbereit und lief etwas hinein da sah ich ein Schwein
angebunden an einem Pfahl.
Die Leute hatten es versteckt. Ich machte mir
nichts daraus und setzte mich wieder auf meinen Platz. Da kam auch schon ein
altes Weib, kniete sich vor mir nieder und lamentierte, O mio Dio und so
weiter. Nach einiger Zeit kamen die Soldaten mit Vieh, das von den Bauern
hergetrieben wurde.
Die Soldaten fuhren mit dem
LKW nach St. Angelo während ein Mann und ich den Transport bewachen mussten.
Der eine Soldat lief vorne vor dem Transporter, ich machte den Schluß. Zwischen
uns die Bauern mit dem Vieh.
Während wir auf einer
Höhenstraße marschierten, fiel auf einmal ein Schuß abgefeuert auf uns von der
gegenüberliegenden Höhe.
Ich legte mein Gewehr an auf
einen Bauern, falls es nochmals schießt.
Der Bauer rief Etwas hinüber
und es blieb ruhig und wir kamen gut heim.
Als Bäcker musste ich hier
oft in der Küche aushelfen. Ich konnte mich deshalb immer sattessen, auch Wein
und Obst hatten wir genug. Die Paketpost war gesperrt. So konnten wir von
zuhause kein Päckchen erhalten.
Eines Tages wurde ich in die
Schreibstube gerufen. Da lag Paket für mich, von zuhause. Niemand wusste, wie
das nach Italien kam, wo Paketsperre ist. In meiner Unterkunft machte ich es
auf. Ein Gesundheitskuchen, jeder Kamerad in der Stube, ein Stückchen, fort war
er.
Dieses Paket hat der Schwager
von Sommer in Kirchzell, der da in Urlaub war nach Italien mitgenommen, am
Roten Kreuz abgegeben, die haben es weitergeschickt.
Seit einigen Tagen hört man hier
jetzt Kanonendonner und sah auch überall schwarzen Rauch. Der Donner kam immer
näher, da wir auf einem Berg lagen könnten wir leicht vom Feind umzingelt
werden. Deshalb wurden wir am 16.August 1944 abends halb zehn Uhr in einen Bus
verladen und zwar nur Kinderreiche. Die Fahrt ging über Pesaro, Rimini, Forli,
Bologna.
Von Bologna marschierten wir
zum Bataillon, das in einem Sägewerk untergebracht war. Dort übernachteten wir
am sogenannten Hungerberg, wo unser Zeltlager früher war.
Hier erfuhren wir, dass nach unserem Abzug damals Partisanen gekommen sind, die den
Bauer und seine Frau, die uns damals beherbergt hatten, ihre sämtlichen Kleider
beraubt und verbrannt hatten und den Bauer mit Frau davongejagt hatten.
Am nächsten Tag marschierten
wir wieder nach Bologna. Außerhalb der Stadt warteten wir auf einen LKW; der
uns mitnehmen sollte nach Deutschland. Endlich um elf Uhr nachts blieb ein LKW
halten, wir stiegen auf und kamen morgens an den Fluß Po, den wir schnell noch überqueren konnten.
Denn bei Tag musste die Brücke weggefahren werden wegen der Flieger.
Verona
Nun fuhren wir weiter bis
Verona. Da wir noch italienisches Geld hatten (Lire), wussten wir schon dass
wir es hier losbringen konnten. Ich kaufte für meine Frau ein paar Strümpfe.
Abends fuhren wir dann mit der Bahn über den Brenner. Hier wurden wir entlaust
und weiter gings über München, Ulm, Bruchsal, Mannheim, Frankfurt nach Bonames.
Hier erfuhren wir, dass wir Kinderreichen herauskamen und sie wieder
Kinderreiche hineingeschickt hätten.
Solche Fehler wurden damals gemacht. Wir aber
mussten weiter und zwar nach Gießen in die Berg-Kaserne.
Nach einigen Tagen Dienst
ging es wieder weiter nach Marienburg in Westpreußen zum Bataillon 610
/3.Kompanie. Wir wären deshalb lieber in Italien geblieben, als nach dem Osten,
hier waren doch die Russen.
Marienburg
Jeder hatte das Gefühl, beim
Russenangriff könnte man in russische Gefangenschaft kommen ( Sibirien). Aber
ich hatte hier Glück. Es ging mir auch hier sehr gut.
Wir kamen hier in ein großes
Gefangenenlager (Willenberg) außerhalb
Marienburg und mussten täglich Wachuntericht mitmachen. Eines Tages ging es auf
den Schießplatz.
Auf dem Weg dorthin marschierten
wir an einem Bauernhof vorbei, wo Gefangene arbeiteten. Ein Wachmann bewachte
sie.
Als ich das sah sprach ich, so was möchte ich
auch machen. Mein Vordermann hörte dies und sprach: Hast Du so was schon einmal
gemacht, ich sprach Ja in Weilbach. Ich aber dachte mir nichts dabei. Es war
freitags. Am anderen Tag war ich zur Bunkerwache eingeteilt. Wir waren gerade
beim Essenempfang da kam mein damaliger Vordermann und der Feldwebel. Der
Vordermann erkannte mich sofort an der Brille.
Der Feldwebel fragte mich, ob
ich eine Gefangenenwache übernehmen könne, was ich bejahte, sofort wurde ein
anderer Mann für mich eingesetzt und ich musste auf die Schreibstube. Ich bekam
das Gefangenenkommando Giesebrecht, den Bauernhof mit 10 Gefangenen. Sechs
Engländer und vier andere. Es war am 01. Oktober 1944 samstags. Der andere
Wachmann wurde abgelöst.
Die Familie bestand aus Frau
mit 5 Kinder und 3 Dienstmädchen. Der Mann war eingezogen. Ich hatte ein
eigenes Zimmer. Beim Abendessen konnte ich mich jetzt wieder einmal richtig
satt Essen. 3 Teller mit Nudelsuppe und Milch alles mit Zucker gemacht. Die
Mädchen wollten mich mal richtig rausfüttern, da im Lager die Kost sehr wenig
und schlecht war. Meine Aufgabe als Wachmann war die Gefangenen zu bewachen.
Auf dem Hof waren 6 Engländer, die ich morgens wecken musste, die andern 4
Gefangenen waren 1 Jugoslawe und 3 Franzosen, die bei anderen Bauern arbeiten
mussten. Diese Vier besuchte ich nur jeden 2 ten Tag.
Nachdem ich 3 Tage hier war, weckte mich
nachts die Bäuerin. Ich soll in die Stadt fahren und die Hebamme holen. Ich
weckte den einen Engländer, den Schimmi (Jimmy), der war schon 3 Jahre hier und
wusste wo die Hebamme wohnte. So fuhren wir in die Stadt und holten sie.
Morgens war dann 1 Kind mehr da und zwar das
6.te. Getauft wurde es nicht. Ich habe nichts bemerkt. Auf dem Feld war viel
Arbeit.
Schimmi fuhr in die Stadt und
holte von der Schule eine Klasse Kinder. Diese lasen die Kartoffeln zusammen
welche die Gefangenen herauspflügten. Am Pflug waren 4 Pferde die von den
Gefangenen geritten wurden. Am Abend bekamen die Kinder und die Lehrerein ein
Abendessen dafür. Am anderen Tag ernteten wir Rüben. Es war noch ein großer
Acker voll draußen. Nachdem in der Stadt ein breiter tiefer Graben ausgehoben
war, gegen die russischen Panzer, mussten wir über eine selbstgebaute Brücke
die Rüben heimfahren, zuletzt machten wir eine große Miete, die wir mit Erde
abdeckten, später wird sie der Russe verfüttert haben.
An Weihnachten bekam ich von
zuhause einen Korb mit Äpfel und Gebäck was aber bald aufgezehrt war, von mir
und den Kindern.
An Weihnachten waren es
dieses Jahr 3 Feiertage, die Bäuerin fuhr über die 3 Feiertage in die Stadt zu
ihrer Schwester. Am Tag zuvor hatten wir 3 Gänse geschlachtet, eine davon nahm
die Bäuerin mit, die anderen 2 durften wir essen.
Die 3 Dienstmädchen hatten für sich Lebkuchen
gebacken und Bonbons gekocht als die Frau weg war. So hatte ich und die Kinder
die 2 Gänse zu verzehren.
Am heiligen Abend ging ich in
die Stadt um 5 Uhr sollte Christmette sein. Unterwegs heulte die Sirene, aber
Flieger waren keine da. Es wurde absichtlich Alarm gegeben, um die Leute von
der Mette fern zu halten. In der Schlosskapelle war deshalb auch nur eine
einzige Frau. Ich machte mich alsbald auf den Heimweg, dabei wurde ich von
einer S.A.- Streife kontrolliert. Aber ich hatte immer meinen Stadtausweis
dabei, als Wachmann. (Seite 36)
Für mich war dieses Kommando
eine schöne Zeit, aber an Neujahr (1945) hörte man schon, das die Russen gegen
uns eine Offensive planen. Wir feierten nochmals gemütlich Silvester (1944).
Nach Neujahr bekommen wir von der Bauersfrau den Auftrag uns einen Wagen zu
richten, gedeckt mit einer Plane, damit die ganze Familie darin Platz hätte.
Ich selbst bekam ein verschlossenes Couvert, darin stand was ich zu tun hatte
bei Telefondurchsage: Regen, Donner, Blitz. Bei Meldung Regen sollte ich die
Gefangenen ins Lager bringen, was ich am 25.Januar (1945) machte.
Von Elbing her hörte man
jetzt schon Kanonendonner. Wir richteten uns schon alle zur Abfahrt nach
Pommern. Ich sollte eine Kutsche fahren, Schimmi (Jimmy) den Planwagen.
Am 26.Januar (1945) fuhren Schimmi und ich
nochmals ins Lager, aber die Gefangenen waren schon weg, auch die Wachleute.
Im Lager sah es bös aus, alles entbehrliche
wurde liegen gelassen, sogar die ganzen Musikinstrumenten der Gefangenen. Ich
nahm mir einen guten Pullover und Rasierapparat und Seife mit. Wir fuhren dann
weiter in die Stadt zum Stalag (Versorgungslager). Hier bekamen wir Pakete für
die Gefangenen, ich hatte nur noch Schimmi. In den Paketen war Essware und
einige hundert Zigaretten. Ich hatte Essware und Schimmi die Zigaretten. Am
27.Januar (1945) schlachteten wir uns ein Schwein. Wir salzten das Fleisch ein
in ein Faß, zum mitnehmen. Ich besorgte mir ein schönes Stück Fleisch. In der
Unterkunft der Gefangenen machte ich Feuer und fing an zu braten. Aber die
Schießerei um die Stadt wurde immer lauter und die Soldaten von der Front kamen
schon ins Haus, im Keller wurde ein Lazarett eingerichtet. Jetzt bekamen wir
Befehl sofort abzufahren. Gegen 10 Uhr spannten wir die Pferde ein. Mit 4
Pferden fuhren wir den Planwagen auf die Straße. Ich hatte die Kutsche. Beim
Anfahren rutschten die Pferde, sie waren nicht beschlagen und der Boden war
gefroren. Es dauerte eine halbe Stunde bis wir mal wegkamen. In der Stadt
sollte ich die Tante mitnehmen, aber die war schon weg, alles eilte zur Stadt
hinaus mit Handwagen und zu Fuß.
Um 12 Uhr nachts fuhren
wir,derPlanwagen mit der Familie, Schimmi als Fahrer, ich als Fahrer der
Kutsche, am Schloß Marienburg vorbei, zur Stadt hinaus. Gleich hinter derselben
lief die Straße von Elbing her zur Nougatbrücke. Auf der Straße von Elbing kamen
große Flüchtlingskolonnen, in diese reihten wir uns ein. Aber nun ging es nur
noch schrittweise vorwärts. Oft mussten wir anhalten und warten.
Auf der Nougatbrücke war die
ganze Straße verstopft und wir kamen nicht vorwärts. Der Russe war schon in
Elbing. Auf einmal fielen die Granaten links und rechts von der Brücke in die
Wiese.
Wir hatten nur Arbeit mit den
Pferden, die bei dem Krach in die Höhe gingen und scheuten. Ein Glück, dass
keine Granante auf die Brücke fiel. Wir wären alle erledigt gewesen. Um nun von
der Brücke schnell wegzukommen, teilte die Feldpolizei nach der Brücke den
Flüchtlingsstrom in zwei Teile. Die Einen fuhren auf der rechten, die Anderen
auf der linken Straße, die sich dort teilte.
Wir mussten auf der rechten
Straße fahren. Wären wir auf die linke Seite gekommen, so hätten wir nur noch
12 Kilometer gebraucht um über die neue 1 km lange Brücke nach Dirschau zu
kommen.
Nun fuhren wir auf der
rechten Straße weiter und kommen 2 Tage später in Dirschau an. Außerhalb der
Stadt übernachteten wir in einem Bauernhof.
Bevor wir im Stall übernachteten brannte unser
Planwagen; die ganze Familie sprang schnell aus dem brennenden Wagen. Nur das
ganz kleine Kind liesen sie drinn liegen. Schnell sprang ich noch mal in den
brennenden Wagen, wo ich erst das Kind suchen musste. Auf einmal spürte ich ein
Füßchen. Ich packte es und schnell raus. Es war höchste Zeit, aber ich kam mit
dem Kind durch. Auch mein Tornister war halb verbrannt. Nun schaffte ich noch
ein Faß mit gesalzenem Fleisch heraus,das wir mitgenommen hatten. Als ich
später noch mal nachschaute, waren schon einige Männer und Frauen vom Dorf
daran, mit Eimern das Fleisch fortzuschaffen. Aber ich habe es eingestellt.
Es war die Ortschaft D o b l. Am nächsten Morgen fingen wir an den
Planwagen wieder herzustellen. Nachdem derselbe fertig war, übernachteten wir
noch mal im Ort und zwar im Stall. Dann gings wieder weiter in ein Bauerndorf.
Die Familie übernachtete im Bauernhaus, ich schlief in einem Schweinstall Auf
Stroh.
Morgens holte ich mir ein
großes Stück Fleisch aus dem Faß, ging in ein Bauernhaus und lies es für mich
braten. Schimmi und ich liesen es uns gut schmecken,den Rest bekam die
Bauersfrau.
Nachdem der Russe immer weiter
in Polen eindrang, waren an der Straße überall Plakate angebracht:
Jeder Soldat der zurückgeht wird
aufgehängt.
Als ich durch die Ortschaft
ging, begegnete mir ein Feldgendarm.
Da ich keinen Marschbefehl
hatte, musste ich abends auf die Ortskommandur. Hier war ein Leutnant und Einer
von der Partei.
Nachdem ich ihnen erklärt
hatte, dass mein Batallon ohne mich abgerückt war und ich die Gefangenen und
die Familie nach Pommern bringen sollte, musste ich den Schimmi am nächsten Tag
an einen in der Nähe gelegenen Gefangenenlager abliefern. Schimmi hätte mich am
liebsten nach England mitgenommen, aber das ging nicht. Nun nahm ich Abschied
von der Familie und meldete mich auf der Kommandur. Ein Unteroffizier erklärte
mir. Ein Glück, dass der Hauptmann nicht hier ist, sonst wäre mir allerhand
passiert. Er sprach von Aufhängen. Der Unteroffizier schickte mich jetzt an die
Front und zwar zurück nach Dirschau.
Zu Fuß machte ich mich auf
den Weg. Es waren 20 Kilometer.
Unterwegs hielt ich einen
Lastwagen an und fuhr nach Dirschau.
Dirschau.
Hier marschierte ich in die
Lützowkaserne. Es waren hier lauter versprengte Soldaten die wieder
zusammengestellt wurden. Am nächsten Tag wurde ich eingeteilt in den Speicher.
Dort lag alles voll mit Uniformen, Schuhe, Decken alles sogar Brillen. Ich
kleidete mich neu ein, was ich alles brauchen konnte nahm ich mit. Am nächsten
Tag mussten wir Vieh bewachen, der ganze Kasernenhof war vollgetrieben.
Das Vieh hatte Hunger und
brüllte und wollte ausbrechen vor Hunger. Die Euter von den Kühen waren
geschwollen zum Platzen. Am anderen Tag mussten wir auf die Weichsel ein Schiff
ausladen, das mit Zucker beladen war. Säcke mit 1 ½ Zentner. Dafür bekamen wir
reichlich Brot und Wurst.
Dirschau-Brücke
Am 13.02.(1945) kam ich mit
20 Mann an die Autobahnbrücke, die von Dirschau über die Weichsel nach
Marienburg führt. Dieselbe war 1 Km lang und von Hitler gebaut worden.
Dieselbe mussten wir bewachen. Wir waren 100 Meter von der Brücke in einer
Baracke untergebracht. Wir mussten 500 Meter immer bis zur Mitte der Brücke auf
und ab gehen, auch nachts. Das Essen war hier sehr knapp. Ich betete zum
Herrgott, dass wir nicht einmal in russische Gefangenschaft kämen mit unserem
hungrigen Magen.
Und ich traute meinen Augen nicht, da lag
mitten auf der Straße – Brücke ein ganzes Kommisbrot.
Ohne von den Anderen gesehen zu werden, hob
ich es schnell auf, brach es in Stücke und versteckte es unter meinem Mantel.
Ich dankte Gott dafür.
Vor
der Brücke stand ein Galgen zum Aufhängen. Hier waren 7 Mann aufgehängt zum
Abschrecken. Jeder der über die Brücke fuhr oder lief, konnte sie sehen.
Wir bauten uns jetzt eine
Stellung – Gräben vor der Brücke.
Ein Mann und ich bekamen einen kleinen
Granatwerfer. Wir schossen uns ein und zwar auf die Straße, die zur Brücke
führte. (Rollbahn)
Am 07.03.(1945) kam der Russe
über die Brücke, da tat es einen furchtbaren Knall und eine große Wolke ging
zum Himmel. Die Brücke ging ein Stück davon in die Luft. Wir ließen den
Granatwerfer stehen, packten den Tornister und Gewehr und rannten feldeinwärts.
Hinter einem einsamen Haus sammelten wir uns. Auf Befehl vom Hauptmann mussten
mein Kamerad und ich wieder zurück in die Stellung und holten den
Granantwerfer.
Vorsichtig schlichen wir uns
hin und kamen glücklich wieder zurück. Der Russe war nämlich schon vorher über
die Brücke. Nun zogen wir weiter nach Dirschau.
Dort kamen wir ins Schützenhaus. Dabei merkte
ich dass mehrere Soldaten – Volkssturmmänner fehlten.
Diese hatten immer einen großen Wäschebeutel
bei sich mit Zivilanzüge. Unterwegs sprangen sie in Dirschau in die Häuser,
zogen Zivilkleider an und waren nicht mehr Soldat. Im Schützenhaus wurden wir
eingeteilt zu anderen Gruppen, morgens um 2 Uhr marschierten wir weiter an die
Front zur 3. Kompanie der Gruppe Mühlheim. Stellung an der Rollbahn. Den Tag
über hatten wir frei und betrachteten uns das Gelände. Abends standen wir
Posten auf der Rollbahn, der Russe hätte uns leicht abschießen können.
Gut
Georgental
Abends um 9 Uhr setzten wir
uns unbemerkt vom Russen leise ab und gingen zurück in ein großes Bauerngut –
Georgental-.
Hier lagen wir 2 Tage bis zum
10.03.(1945).
Abends 10 Uhr setzten wir uns
ab und marschierten bis 10 km zum Bataillon. Aber wir mussten gleich wieder 10
Kilometer zurück zur alten Stellung. Um 4 Uhr sonntags morgens kamen wir wieder
dort an. Ich eilte nicht, so kam ich eine viertel Stunde später dort an. Meine
Kameraden standen schon auf Posten und ich sollte sie kontrollieren.
Der 1. Posten stand neben der Straße im Loch,
der 2. über der Straße, als ich über dieselbe ging, hörte ich auf der Straße
her Männer marschieren. Es waren Russen. Ich rief die Posten an und warnte sie.
Sofort lief ich neben der
Straße die Böschung hinauf in die Hecken, dann nahm ich meine Handgranate, zog
sie ab und warf sie auf die Straße. Nachdem Knall derselben, sprang ich die
Straße hinunter ins Haus, wo meine Kameraden schliefen, ich weckte sie und
schnell sprangen alle heraus und beschossen die Straße, nachdem die 2 Posten
hier eintrafen. 3 Mann blieben an der Straße und schossen, während wir Anderen
in dem Haus uns fertig machten zum Rückzug. Mein Feldwebel und ich wollten zur
Hintertür hinaus, da schossen die Russen schon aus dem gegenüberliegenden Stall
auf uns. Mein Feldwebel schoß mit der Maschinenpistole eine Garbe in den Stall
und ich sprang schnell in den Hof.
Als ich um´s Eck bog, fiel
ich hin und kroch weiter hinter die Scheune. Mein Feldwebel glaubte ich sei
tot.
Nun kroch ich in der Wiese
weiter. Da sah ich vor mir Schützengräben, eine Stellung von Deutschen. Ich winkte
ihnen und wurde erkannt. Sie riefen ich soll schnell zu ihnen kommen. Es war
höchste Zeit, kaum war ich im Graben, da schossen die Russen auf uns.
Ich war jetzt bei ganz
fremden Soldaten. Wir schossen jetzt auf das Haus auf die Fenster, wo wir
vorher waren, auch die Russen schossen schon aus dem Haus. So ging es bis
mittags. Auf einmal schossen die Russen, von der Seite her direkt in unseren
Graben. Zum Glück hatten wir keine Verluste. Rechts von uns war im Acker ein
großer Strohhaufen. Auf demselben waren 3 russische Soldaten, Scharfschützen
die uns von der Seite beschossen. Unser Feldwebel schoß nun einige
Leuchtspurmunition in den Strohhaufen, sofort brannte er hell auf. Wir sahen
noch wie die Russen, 3 Mann in der Ackerfurche zum Haus zurückkrochen. Wir
schossen fest auf sie und sahen sie nicht mehr. Wir sahen noch wie die Russen
ein Pferd einspannten und hinter dem Haus eine Kanone aufstellten. Nun wurden
wir stark beschossen. So ging es den ganzen Nachmittag ohne Verluste. Ich legte
alles was ich nicht unbedingt brauchte in den Graben, damit ich nicht zuviel
mitzuschleppen hatte. Als es langsam dunkel wurde, sammelten wir uns im Graben
und marschierten weiter zurück durch einen Wald.
Nach demselben kamen wir auf eine Straße. Da
marschierten lauter zurückgehende Soldaten.
Während wir marschierten traf
ich meinen Feldwebel und meine Kameraden von dem Haus. Sie glaubten alle, ich
sei tot (gefallen im Hof).
Es war dunkle Nacht. An einem einsamen Haus
war Halt. Die Offiziere hatten in demselben Besprechung. Mein Feldwebel sagte
ich soll immer bei ihm bleiben und an der Haustür warten bis er kommt.
Ich wartete eine Zeitlang,
während sich die Soldaten verliefen.
Als Niemand mehr da war, ging
ich ins Haus, aber Niemand war mehr da. Alle waren fort nur ich stand auf der
Straße allein. Jetzt wohin? Da dachte ich legst dich in die Scheune nebenan und
schläfst bis es Tag wird. Da hörte ich von weit meinen Namen rufen, ich ging
auf der Straße in die Richtung und kam zu meinen Kameraden. Nun kamen wir an
ein großes Bauerngut, das vollgestopft war mit Soldaten.
Wir legten uns auf den
Fußboden und wollten schlafen. Aber sofort wurde die Gruppe „Mühlheim“
aufgerufen zur Wache. Nun gingen wir in ein Bauernhaus, jagten die Polen aus
der Stube und legten uns auf den Fußboden, während 6 Mann in der Wiese einen
Graben ausheben mussten zur Verteidigung. Nach 2 Stunden war ich auch an der
Reihe. Wegen der Kälte nahm ich einige Decken mit in den Graben. Gegen Morgen
schoss schon der Russe aus der Scheune, wo ich in der Nacht schlafen wollte.
Als ich bei Tag abgelöst wurde, lief ich auf
der Wiese und wollte ins Haus. Da fuhr ein Schuß an mir vorbei in die Wiese.
Ich ließ mich schnell fallen und kroch auf dem
Boden ins Haus. Der Russe hatte auf den Bäumen Scharfschützen sitzen, die auf
Jeden schossen.
Als ich ins Haus eintreten
wollte saß im Flur ein großer Wolfshund. Er ließ mich nicht weiter. Der Hund
gehörte dem Bauern, der geflüchtet war, der Hund aber kam wieder zurück ins
Haus.
Nun mussten wir ihn erschießen. Im Hof lag ein
totes Fohlen. Der Stall stand voll mit Vieh. Einige hatten schon Granatsplitter
und brüllten. Eine Polenfrau brachte uns einen halben Eimer mit Milch. Da wir
kein Brennholz hatten schlugen wir die Küchentür kaputt und verbrannten sie.
Wir kochten Milch. Auch fanden wir Mehl und Mohn. Davon machten wir uns guten
Mohnkuchen. Mein Feldwebel war nämlich Bäcker, er freute sich weil ich auch
Bäcker war. Als es abends dunkelte, nahmen wir aus dem Stall ein Pferd, luden
unser Gepäck auf und marschierten weiter zurück. Wir kamen jetzt in eine
ausgebaute Stellung, ein tiefer Schützengraben auf dem Weichseldamm, aber
morgens kam schon der Russe mit „Urä-Geschrei. Wir waren oben im Graben im
Moment nur 2 Mann mit Maschinengewehr, wir hätten ihn nicht gehalten, wenn
nicht hinter uns unsere Flackbatterie geschossen hätte. Nach dem Angriff war
Ruhe und wir gingen weiter zurück in eine Stellung mit tiefem Graben.
Über Nacht war Ruhe, meine
Kameraden waren lauter junge Leute im Alter von 17 bis 20 Jahren, ich war 44
Jahre. Kein Wunder dass sie Schlaf hatten, tagelang nicht geschlafen. In der
selben Nacht stand ich mit den jungen Leuten im Graben. Einer nach dem Andern
fiel in Schlaf und setzte sich.
Ich ließ sie ruhig schlafen, und ging allein
im Graben auf und ab, beobachtete das Feld vor mir. 2 Stunden sollte ich
wachen, aber ich hatte keinen Schlaf und wachte bis es hell wurde. Also über 4
Stunden, dann weckte ich sie. Sie konnten mir nicht genug danken. Als Dank
brachte Jeder einige Zigarren bis ich alle Taschen voll hatte. Nun schickte
mich der Feldwebel hinunter ins Dorf Baldau, ich sollte Kaffee besorgen. In einem
Haus traf ich noch eine Frau, die kochte mir eine Kanne voll und ich trug sie
in den Graben. Jetzt wurden wir von den Russen schon fest beschossen. Während
ich im Graben entlang ging, stellte sich mein Feldwebel Mühlheim auf den
Grabenrand und schon fiel er herunter mit einem Schuß durch den Mund und war
tot. Unter Lebensgefahr trugen wir ihn ins Dorf, wo er vorne in einem
Hausgarten beerdigt wurde. Wir gingen wieder hinauf in die Stellung und wurden
dabei heftig beschossen. Als es abends anfing dunkel zu werden verließen wir
unbemerkt vom Russen, die Stellung, marschierten zurück. Auf der Straße fuhren
viele Fahrzeuge.
Wegen der schlechten Straße
durften wir nicht aufsitzen. Ich hielt mich an einem Wagen fest und beim
Marschieren schlief ich immer wieder ein.
An einem großen Haus machten wir Halt, wir
gingen sofort hinein und legten uns auf den Fußboden und wollten schlafen. Aber
sofort wurden wir wieder aufgerufen, mussten Munition und Handgranaten fassen
und abmarschieren. Im Gänsemarsch liefen wir eine Straße entlang, dann durch
einen Gartenbetrieb, wobei uns erklärt wurde, dass links von uns ein Sägewerk
sich befindet in dem der Hauptverbandsplatz war.
Nachdem wir den Garten
durchschritten hatten kamen wir an ein Haus, da fielen aus demselben schon
einige Schüsse. Wir legten an und schossen durch die Fenster. Hinter dem Haus
sah man die Russen davon springen. Wir hinter ihnen her und kamen in eine
Stellung. Es war ein großes kreisrundes Loch. Ein älterer Feldwebel, ein
Kamerad und ich legten unsere Gewehre auf den Grabenrand und schossen in
Richtung Russe. Auf einmal sahen wir, dass der Russe, einzeln über einen
Bahndamm auf uns zukam. Ich schaute über den Rand, da explodierte eine
Granante. Ich bekam nur Dreck ins Gesicht, wehe wenn Splitter dabei gewesen
wären.
(Seite 59)
Verwundet am 13.März 1945
morgens 10 Uhr.
Nun waren wir vorsichtiger.
Aber auf einmal tat es einen großen Knall. Eine Granate schlug bei uns im
Graben ein. Ich spürte einen Stoß, griff an meinen Oberschenkel, da spürte ich
Blut durch ein Loch in der Hose rinnen.
Auch in der rechten Schulter schmerzte es.
Beim Feldwebel riss es den rechten Arm weg. Ich hatte Glück, dass ich einen großen
Rucksack auf dem Rücken trug, der mit Wäsche und mit einer Schachtel (50)
Zigarren vollgestopft war und ich im Moment dort kniete. Die Splitter gingen
deshalb in den Rucksack und nicht in den Rücken, wäre ansonst bös zerfetzt
worden. In meinen Taschen hatte ich viele Verbandspäckchen, ein Kamerad hat
mich gleich verbunden. Ein großer Granatsplitter ging mir in den linken
Oberschenkel und blieb stecken.
(Seite 60)
Nun wurden wir vom Russen
fest beschossen. Mein Feldwebel und ich krochen auf dem Bauch liegend zurück.
Die Kugeln flogen uns um die Ohren. Ich warf meinen Rucksack mit Inhalt weg,
auch mein Gewehr, Patronentasche, alles was ich entbehren konnte. Im Rucksack
war noch meine eigene Brille und Verpflegung. Alles fort, sogar Rasierzeug. So
kam ich an eine Feldscheune. Als ich hinter derselben war schaute ich zurück
nach meinem Feldwebel. Aber er war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich hatten ihn
die Russen tötlich getroffen. Da ich jetzt aus der Schusslinie war ging ich
weiter, trotz der großen Schmerzen im Oberschenkel. Vor einem Haus stehend sah
ich den Hauptverbandsplatz. Ich humpelte weiter, da sah mich ein Sanitäter.
Schnell kam er herbei und führte zum Hauptverbandsplatz. Aber die Ärzte waren
schon fort.
Ich stellte mich auf einen Wagen, konnte nicht
sitzen.
So fuhren wir in die Stadt
über eingefallenen Häusermauern, Backsteine usw. Ich hatte große Schmerzen. Vor
einem Haus machten wir Halt. Hier war noch ein Arzt, der gab mir eine Spritze
gegen Wundstarrkrampf. Dabei klaute ich mir einen Rasierpinsel. Jetzt ging es
weiter in eine Kaserne, als Lazarett eingerichtet. Ich ging in den
Operationssaal und wurde operiert. Den Splitter konnten sie nicht entfernen, so
durchbohrten sie den Oberschenkel und steckten einen Gummischlauch durch den
Oberschenkel, der vorne oberhalb vom Knie herausschaute. Dabei haben sie mir
meine Taschenuhr gestohlen.
Ich konnte kaum laufen und
musste in den Keller aufs Stroh. Hier waren viele Verwundete. Ein Sanitäter
brachte uns Brot und Wurst, die ich in meine Tasche steckte.
Gleich darauf kam der Sanitäter nochmals und
rief: Alles raus, der ganze Bau brennt. Ich humpelte mit 2 Stecken fort. Im Hof
sah ich, dass der Dachstuhl schon hell auf brannte. Wir kamen in den anderen
Kasernenbau. Auf einmal abends um 10 Uhr hieß es: „In dieser Nacht noch kommt
der Russe, wer noch eine Waffe hat soll sie abgeben und wer nicht hier bleiben
will, kann noch fortlaufen, denn außerhalb der Stadt fahren Pferdewagen vorbei,
da kann man mitfahren.
Ein Feldwebel und ich gingen fort. Mit 2 abgebrochenen
Spaten humpelten wir los. Es war schlecht zu laufen, die Straße lag voll mit
Backsteine und die Häuser brannten.
An einer Ecke stand eine Frau, die gab uns
eine Tasse Kaffee. Die Frau ging nicht fort. Als wir an die andere Straße kamen
fuhren die Wagen vorbei. Wir wollten aufsteigen, aber keiner blieb halten. Da
zog der Feldwebel seine Pistole und legte an, sofort hielt einer an. Wir
schnell hinauf und weiter ging es. Ich lag auf einem Fahrrad und hatte große
Schmerzen. Als es dann hell wurde, waren wir außerhalb der Stadt. Aber jetzt
kam ein Flieger, schnell rutschte ich vom Wagen in den Straßengraben. Er ließ 3
Bomben fallen die uns nicht trafen. Nun kletterte ich auf einen anderen Wagen.
Dabei merkte ich, dass es bei mir furchtbar stank. Es war meine Wunde, die
schwer eiterte. Dasselbe floss aus dem Schlauch in die Hose.
Ich dachte, was wird aus dem
Bein noch werden. Es dauerte nicht lange da kam der Flieger wieder. Ich runter
vom Wagen und neben der Straße in einen Schuhladen. Rechts und links von
demselben fielen die Bomben. Hier blieb ich bis zum Abend. Die Straße führte
weiter durch einen Wald. Als es Abend wurde, ging ich aus dem Haus. Vor
demselben hielt gerade ein Sanitätsauto und ich stieg hinein. In demselben
lagen viele Zigaretten und Zwieback. Ich stopfte mir alle Taschen voll. Aber
das Auto konnte nicht weiterfahren. Die Straße lag voll mit toten Soldaten und
Bäume. Ich stieg aus und erkundigte mich wie weit es noch ist bis zum Wasser
(Weichsel).
(Nr.65)
In
Heubude
Ich kam auch gleich ans
Wasser, da hieß es, lauf noch 5 Kilometer, dann kommst du an die Fähre. Es war
Nacht. Mit 2 Stecken lief ich immer am Wasser entlang, endlich kam ich an einen
Platz, voll mit Wagen, Zivil und Soldaten. Da hörte ich gerade ausrufen: die
Fähre ist kaputt, in einer Stunde fährt sie wieder. Ich stellte mich
vorsichtshalber in einen Graben, da kam auch wieder der Flieger und warf 3
Bomben. Diesmal mitten unter die Leute. Es war ein großer Jammer. Auf einmal
wurde ausgerufen: Die Fähre geht wieder, nur für Verwundete. Sofort humpelte
ich dorthin, bekam noch den letzten Platz zum Stehen.
Nicht lange dauerte die Fahrt und wir waren am
anderen Ufer der Weichsel. Hier waren Gräben ausgehoben, wir gingen in
dieselben und sollten warten bis ein Sanitätsauto uns holt. Aber es kam keines
und wir humpelten weiter. Unterwegs sahen wir das Sanitätsauto, es war kaputt.
Ich ging weiter allein, vor dem Dorf Bohnensack lag auf der Straße ein Toter.
Ich kam an die ersten Häuser, da kamen Flieger. Ich schnell in ein Haus, da fielen
die Bomben.
Ich wartete bis alles ruhig war und ging
hinunter ans Wasser (Ostsee). Es war morgens 4 Uhr. Sofort ging ich an ein
kleines Schiff, aber ein Unteroffizier ließ mich nicht aufsteigen, es war voll
beladen mit Soldaten. Nachdem der Unteroffizier weggegangen war, hob mich ein
Soldat hinauf aufs Schiff und schnell zog ich den anderen Soldat auch hinauf.
Auf dem Schiff lagen wir
nebeneinander wie Heringe. Es war morgens 5 Uhr als wir abfuhren.
(67)
Halbinsel
Hela
Wir fuhren in die Ostsee
hinaus. Überall schwammen tote Fische. Links von uns lag die Halbinsel Hela.
Da sahen wir auf einmal viele
Kreigsschiffe. Wir fuhren an ein großes Lazarettschiff heran. Die leute davon
ließen uns Wasser herunter zum Trinken. Aber wir kamen nicht in dieses Schiff,
fuhren weiter an ein großes Frachtschiff namens S.Mates, ein italienisches
Schiff.
Wir wurden immer 4 Mann mit
einem Kran hochgehoben und dann ins Schiff hinunter auf den Boden gelegt. Ich
nahm 2 Schwimmwesten, eine unter den Kopf, die andere um den Bauch. Eine große
Leiter ging zum anderen Stock hinauf. Derselbe war nur mit Brettern belegt und
war ganz mit Verwundeten belegt alle auch auf blanken Bretterboden. Manchmal
lief ihr Wasser auf uns hernieder.
Neben mir lag ein Soldat dem
waren beide Augen verbrannt. Der Andere neben mir hatte ein Loch im Rücken. Am
nächsten morgen weckte ich ihn, aber er war tot. Er wurde in ein Zelt gewickelt
hochgezogen und im Meer versenkt. Nun bekamen wir zum ersten mal Gerstensuppe.
Wir hatten kein Essgeschirr, keine Löffel, nur ein paar Konservenbüchsen. Aus
diesen tranken wir unsere Suppe. So ging es 8 Tage lang. In meiner Tasche hatte
ich noch Zwieback vom Sanitätsauto. Ein Glück.
(69)
Kopenhagen
i. Dänemark
Nach 8 Tage auf dem
Hungerschiff, es waren 5000 Soldaten, fuhren wir in den Hafen von Kopenhagen
ein.
Hier wurden wir ausgeladen
und mit dem Kran auf das Pflaster gelegt. Nach einiger Zeit kam ein Lazarettzug.
Wir wurden hineingetragen in schöne Betten mit samt dem Anzug hineingelegt.
Da meine Wunde sehr eiterte
und alles in das Hosenbein floß, das unten zugebunden war, nahm ich ein Messer
schnitt das Hosenbein über dem Knie ab und warf es bei der Fahrt zum Fenster
hinaus. Unter die Wunde legte ich altes Papier. Der Mann neben mir war morgens
tot, er hatte keine Spritze gegen Wundstarrkrampf bekommen.
Fahrt
nach Deutschland
Wir fuhren weiter und kamen
an ein Wasser. Der Lazarettzug fuhr auf eine große Fähre, die mit dem ganzen
Zug ans andere Ufer fuhr. So fuhren wir weiter bis nach
Orschersleben.
Hier wurden wir ausgeladen
und kamen in die Oberschule als Lazarett eingerichtet. Es war der 09.April
1945.
Schon am 11 April kam der
Engländer und besetzte die Stadt. Wir hatten abends in unserer Stube das Licht
noch brennen, schon schoss der Engländer einige Schüsse gegen das Haus. Schnell
das Licht aus und ins Bett und zugedeckt. Weiter merkten wir nichts davon.
Am anderen Morgen bekam jeder
von uns eine Kiste Zigarren. Unsere Sanitäter hatten die neben anstehende
Zigarrenfabrik ausgeräumt. Die hier lebenden Polen räumten die Wurstfabrik aus.
Aber wir bekamen nichts davon. Wir hatten hier großen Hunger, bekamen mittags
nur einen Teller Suppe, abends 3 Schnitte Brot.
Vor Pfingsten besetzten die
Amerikaner die Stadt. Sofort war das Essen besser. Am 16.April 1945 wurde der
Gummischlauch aus der Wunde gezogen. Nach einigen Tagen hatte ich nachts große
Schmerzen. Morgens sah ich, dass der Splitter aus der Wunde heraus war.
Jetzt ließ die starke Eiterung nach und ich
hatte keine Schmerzen mehr. Am 10. Mai 1945 zum ersten mal mit Krücken um den
Tisch. Mein Bein war ganz eingezogen und ich konnte es nicht gerade machen.
Das Bein wurde jeden Tag
massiert und so konnte ich am 15.April 1945 mit 2 Stöcken in den Hof.
Am 10.Juni 1945 konnte ich
wieder ohne Stock laufen. Ich lief jeden Morgen ein paar Mal um den Schulhof.
Am 27.Juni 1945 wurde ich verlesen und mit einem Lastauto fortgefahren. Wir
dachten es geht heim, aber wir kommen in ein Lager (Zachau).
Am 01.Juli 1945 Sonntag früh
4 Uhr wurden wir geweckt.
Der Russe besetzte Thüringen.
Wir liefen ihm davon, die Straße war voll mit Soldaten. Eine Frau schaute
unterwegs an einem Fenster raus, die gab mir Kaffee mit Kuchen. Wir
marschierten bis abends 35 km und kamen über die Grenze zum Amerikaner.
Der schickte uns in die nächste Bauernortschaft
( Danntopf).(Nr.73).
Wir gingen in eine Scheuer (Scheune) auf
Stroh. Morgens kochten wir in der Waschküche einen Kessel voll Kaffee. Hier
blieben wir bis zum 6.Juli 1945, dann marschierten wir weiter nach Ampleben in
eine Scheune.
Am 09.Juli 1945 weiter nach
Kneitlingen (
Geburtsort vom Eulenspiegel).
Hier halfen wir den Bauern beim
Erbsenpflücken, kauften uns von demselben Kartoffeln, die wir selbst
rausmachten.
Einen Zentner bezahlten wir
und den anderen holten wir heimlich vom Acker. Kartoffel und Erbsen kochten wir
im Kessel und lebten gut. Für unsere Arbeit bekamen wir vom Bauer einige Mark
und Lebensmittelkarten. Nach einigen Wochen hieß es, sämtliche
Mainfranken…jetzt Unterfranken mögen früh antreten zur Entlassung. Ich marschierte
mit einigen Kameraden ab. (Wohin)
Als wir hier ankamen,
nachmittags gings wieder in eine Scheune, dabei traf ich auf einen Kirchzeller…Leo
Schwarz und einen von Buch. Nun hielten wir zusammen bis wir daheim
waren.
Wir bekamen dann von den
Amerikaner unsere Entlassungspapiere, wurden am nächsten Tag in einen Güterzug
verladen und fuhren ab.
In Marburg hielt der Zug,
neben einem Lager mit Stacheldraht.
Wir glaubten da kommen wir
jetzt hinein, deshalb stiegen wir 3 Mann aus und stellten uns hinter eine große
Holzarke.
Wir wollen lieber heim laufen
als ins Lager. Auf einmal hieß es einsteigen, der Zug fährt direkt nach
Würzburg. Wir schnell hinein und ab ging es. Gegen Abend kamen wir in
Aschaffenburg an.
Aschaffenburg
Im Bahnhof Aschaffenburg
stiegen wir 3 Mann aus und legten uns in einen leeren Güterwagen in den es
hereinregnete. Wir schliefen wenig vor lauter Freude. Als es hell wurde stiegen
wir aus und rasierten uns mit dem Regenwasser.
Hernach ging der Zug ab nach
Miltenberg. Aber wir kamen nicht weiter, in Elsenfeld war die Bahnbrücke
gesprengt. Mit einer Fähre fuhren wir über den Main nach Wörth. Hier gaben wir
einem Lastwagenbesitzer einige Mark, der fuhr uns bis Miltenberg. Er hatte
wenig Benzin. So liefen wir zu Fuß gegen Breitendiel.
Unterwegs kam ein Auto, das
nahm uns mit bis Amorbach.
Nun ging es wieder zu Fuß, am
Seegarten fuhr mit Motorrad Röthlein von Amorbach vorbei. Derselbe fuhr nach
Kirchzell und verkündete meiner Familie, dass ich komme.
An der Pulvermühle kam schon Ludwig mit Fahrrad,
um mich abzuholen.
An der neuen Schule kam dann
auch Erhard und die Mädchen Albine und Helmdrut ( richtig ist Helmtrud).
Als
wir an unsere Haustüre kamen stand da ein kleiner Bub mit weissem Lockenkopf.
Es
war W e r n e r im Alter von 1 ½ Jahren.
Ich
hab ihn gesehen als er 4 Wochen alt war. Er gab mir die Hand und sprang davon.
Er wollte von mir nichts wissen. Es dauerte eine Zeit bis er sich an mich
gewöhnte.
Nun gab es zum ersten mal
wieder was Warmes zu essen und groß war die Freude, dass ich gesund wieder nach
Hause kam.
Rudolf Zipp
1972
Hier ein Erlebnisbericht der Bauersfrau.
Das Hofgut in Pommern ( Kreis Dirschau) war von einem Polen gepachtet.
Eine Flucht über die Halbinsel Hela bzw. mit dem Schiff über die Ostsee war nicht mehr möglich.
So zogen sie nach Osten.. Marienburg....Elbling.....Richtung Königsberg.
Das Hofgut in Pommern ( Kreis Dirschau) war von einem Polen gepachtet.
Eine Flucht über die Halbinsel Hela bzw. mit dem Schiff über die Ostsee war nicht mehr möglich.
So zogen sie nach Osten.. Marienburg....Elbling.....Richtung Königsberg.
Nördlich
Karthaus Zusammentreffen mit russischen Truppen, langwierige Rückkehr nach
Schönwiese.
Strahlend geht die Sonne auf an diesem klaren,
eiskalten Wintertag des 24. Januar 1945. Dampfend von der Wärme des Stalles
werden unsre Pferde vor unsern schon am Abend vorher vollgepackten
Flüchtlingswagen gespannt, ein langgemachter Leiterwagen mit einem schützenden
Verdeck. Noch schnell die Pökeltonne mit dem 4-Zentnerschwein heraufgeschafft,
das noch am Abend vorher geschlachtet wurde. Kaum können es die dickvermummten
Kinder erwarten, auf den Wagen gehoben zu werden; denn sie denken, es geht auf
eine Spazierfahrt. Wie blühend und gesund sie aussehen, sind sie doch noch nie
jemals im Leben krank gewesen. Alle drei blond, blauäugig und rotbäckig, der
gerade acht Jahre alt gewordene Gerhard, der bald 7jährige Heini und die
rundliche 3 3/4 jährige Gretchen. Mir ist das Herz schwer, als ich den Wagen
besteige und zumute, als steige ich in mein eigenes Grab. „Du wirst kein
eignes, selbstgebackenes Brot mehr in Deinem Leben essen”, durchzuckt mich ein
Gedanke, als der Wagen durchs Hoftor rollt.
Schwer fällt mir der Abschied von unsrer zweiten Heimat,
unsrer Pachtung in Rokitten, Kreis Dirschau/Westpreußen, wohin mein Mann seit
1940 aus Ostpreußen als Wirtschaftsberater für die Volksdeutschen aus
Beßarabien und dem Warschau-Gebiet von der Landesbauernschaft
Danzig-Westpreußen dienstverpflichtet ist. Deshalb darf mein Mann uns jetzt
auch nicht begleiten, erst wenn Rokitten von der Wehrmacht geräumt wird, darf
er fort. So haben wir jetzt den „guten” Valeri, den Zivilrussen, „Ostarbeiter”,
als Kutscher mit, der leider gelernter Chauffeur ist und keinen Pferdeverstand
hat. Deshalb lenkt mein Mann mit sicherer Hand unser schwankendes Gefährt mit
den übermütigen Pferden durch die hohen Schneewälle des Landweges bis auf die
Hauptchaussee, um dann Abschied von uns zu nehmen. —Schritt für Schritt fahren
wir nun im langen, endlosen Flüchtlingszug gen Westen. Dumpfer Kanonendonner
grollt schon seit gestern von Marienburg. Gleich wird der Russe die Zange um
Pommern schließen, berichtete uns heute nacht ein Stabsoffizier. „Nur schnell
durch bis Mecklenburg”, nehme ich mir vor, — wenn die Straße nur nicht so
verstopft wäre, oft müssen wir Flüchtlingswagen stundenlang halten, um
Wehrmachtsfahrzeuge durchfluten zu lassen, so daß wir am Abend nur ganze 6 km
gefahren sind.
„Es ist doch keine
Vergnügungsfahrt”, merken die Kinder, als wir abends in einer mit Flüchtlingen
dickbelegten Stube auf dem Fußboden schlafen.
So fahren wir fünf
Tage durch. Schneesturm mit über 20° Frost setzt ein. Unvergeßlich ist mir die
Nacht, als wir wohl bis gegen 2 Uhr morgens vor Berent (Westpr.) stehen; die
Straße wieder dick verstopft. Valeri, unsre Perle, wieder vom Wagen fort,
trinkt Schnaps mit den Ostarbeitern der andern Flüchtlingswagen, die Kinder
durchgefroren und unglücklich, obgleich sie tief in Betten verpackt sind, aber
der Schnee dringt durch alle Ritzen. Die Pferde sehen schon ganz zottig und
schubbrig aus, obgleich wir genug Hafer mithaben. Dann läßt man uns nicht
weiter nach Westen fahren, weil die Russen wohl schon die Zange um Pommern
geschlossen haben; d. h. wäre mein Mann mit uns gefahren, wären wir auf Umwegen
immer noch nach Mecklenburg gekommen. Jetzt müssen wir nördlich nach Kreis
Karthaus (Westpr.) abbiegen, und wir halten uns jetzt in Schönberg auf, bis
dann auch dieser Ort vom Zivil geräumt werden muß und wir uns in der Nacht zum
7. März wild auf die Flucht machen müssen, da die ersten Granaten schon hinter
uns krachen. Unser guter Valeri ist nur mit Mühe und Not von mir zu überreden,
den Wagen zu fahren, und widerwillig und noch nachlässiger als sonst versieht
er seinen Posten.
In wilder Flucht geht
es nun über bergige, vereiste Waldwege (denn die Hauptstraßen hat der Russe
schon alle) in Richtung Gotenhafen, denn man will uns vielleicht doch noch
Gelegenheit geben, uns einzuschiffen.
Da droht uns der
Russe schon in einer kleineren Stadt zu umzingeln, jedenfalls ist in dem Ort so
ein Tohuwabohu, daß unser Wagen mit andern so eingeklemmt ist, daß wir nicht
weiter können. Ich lasse Valeri an dem Wagen, packe nur die Betten und etwas
Lebensmittel auf einen Wehrmachts-LKW. und fahre mit den Kindern davon mit noch
andern Frauen. Fahren stundenlang nur durch Wälder und wüste Gegenden, immer in
der Nähe der Front. Unser und auch die Chauffeure der andern LKW. sind Russen,
die auf deutscher Seite kämpfen. Vor einer Lichtung halten plötzlich alle
Autos, alle Chauffeure springen von ihren Sitzen und lassen lange und ausgiebig
ihre Schnapsflaschen kreisen. Ich habe das Gefühl, jetzt wird es brenzlig, sie
trinken sich Mut an. Und richtig, kaum springt unser Wagen an, schießt sich die
feindliche Artillerie gut auf uns ein. Soldaten fallen, Pferde wälzen sich in
ihrem Blut. Das Dach unsres Autos hat ein großes Loch. Im Nu ist die Straße
verstopft, und das feindliche Feuer konzentriert sich noch mehr auf uns.
Geistesgegenwärtig biegt unser Fahrer auf das freie Feld aus, um dem Dilemma zu
entrinnen, doch die warme Märzsonne hat die Erde schon aufgetaut, das Auto
bleibt stecken.
„Raus, die Weiber,
schieben”, brüllt er, im Nu gehorchen wir und kommen vorwärts, in sausender
Fahrt jagt das Auto davon. Ich klammere mich an der Klappe fest und lasse mich
nachschleifen, um nicht mit meinen Kindern auseinanderzukommen. In Deckung des
Waldes warten wir dann auf die andern Frauen. Doch nun kommen wir nicht mehr
weiter, alle Autos fluten vorbei, wir bleiben stehen. Der Russe ist auch fort
vom Steuer, ein deutscher Leutnant hat jetzt seinen Platz, — nein, wir können
nicht weiter, der Kühler hat einen Granatsplitter abbekommen. — Wir sitzen nun
gottergeben die ganze Nacht im Auto bei heftigstem Schneesturm und Geschützdonner.
Im fahlen Morgenlicht wird alles ruhig und still. Ein verirrtes Auto erbarmt
sich unser und nimmt uns ins Schlepptau. Es geht nur im Schneckentempo, da —
von neuem ganz in der Nähe Beschuß, meine drei Kinder haben sich eng an mich
gedrückt, haben alle weiße, verzerrte Gesichter. Ich bete immer, daß wir alle
auf einmal tot wären, wenn wir sterben müssen. Uns gegenüber hat sich ein
Flaksoldat eingefunden, der sich immerfort mit einer jungen Frau küßt.
Widerlich. „Russische Panzer von vorn gemeldet”, schreit der Leutnant von vorn
uns zu. „Wenn ich rufe, alles rausspringen, sich kleines Handgepäck
bereitlegen.” — Mit zitternden Händen packe ich etwas Brot, Speck, etwas Reis,
Zucker und Verbandstoff ein und gebe dem Ältesten eine warme Decke zum Halten.
Plötzlich ein Krachen
und Donnern, vom Auto vor uns loht eine Stichflamme hoch. „Raus!” Wir springen
wie die Irren vom Lastkraftwagen runter, laufen, was wir können, von der Straße
fort in den dichten Wald, — nebenbei ein Dorf, das brennt und in dem geschossen
wird; auch die Bewohner des Dorfes fliehen in den Wald. Ich werfe mich mit den
Kindern auf den Waldboden. — — — Da sehen wir schon hinter den Bäumen die
braunen Uniformen mit den ekligen Pelzmützen wie die Katzen angeschlichen
kommen. „Jetzt werden sie uns runterknallen”, denke ich.
Da heben alle zum
Zeichen, daß sie sich ergeben, die Hände und wir natürlich auch. „Der Chitler
(sprich langes i) und die Chitler!”, geht das Denunzieren der Pollacken los,
und die Betreffenden werden sofort festgenommen. „Ihr jetz Ruuskis”, dolmetscht
uns ein Russe. Sofort nimmt sich unsrer ein russisches Flintenweib an: „Alle
mit!” Durch einen reißenden Bach müssen wir noch waten, dessen Wasser den
Kindern bis zu den Hüften reichen würde. Alle über sechs Jahre müssen allein
durch. „Is gutt für Gesundheit”, befiehlt die Russin; ich benutze das
Durcheinander, um alle drei rüberzutragen; haben dadurch den Anschluß verloren,
wir irren dann allein mitten im tollsten Maschinengewehrfeuer herum, die Erde
spritzt uns nur so um die Ohren, nehmen überhaupt nicht Deckung, haben keine
Angst, sind ganz abgestumpft, als ob uns das alles nichts angeht.
— Da endlich, ein
entlegenes Haus eines Dorfes, um das sich unglückliche Leidensgenossen scharen,
nein, das Polenweib läßt uns die Küche nicht betreten, wo ich um etwas warmen
Kaffee für meine Kinder bitten will. „Da — soviel zu trinken”, und zeigt auf
‚den Schnee, denn ein Brunnen ist nirgends zu finden. Das arme kleine Gretchen
wird bald schneeweiß infolge der furchtbaren Strapazen, und es stellt sich
blutiger Durchfall bei ihr ein. Bald geht das Plündern los. Ein feister
Zivilrusse zieht mir den Trauring ab und befiehlt mir, bis zum Abend in dem
einen Raum zu bleiben. Als er sich
entfernt, benutze ich die Gelegenheit, auszureißen. Wieder in den Wald. Bloß
fort. — Als es anfängt, dunkel zu werden, finden wir auf einer Anhöhe, ganz
einsam liegend, ein halbzerschossenes Haus. „Kommt her”, ruft uns ein
Pollackenweib entgegen, „Trinken warmen Kaffee für eure Kinder”, überaus
freundlich. Das Haus ist schon angefüllt mit Flüchtlingen, und immer mehr
strömen herbei. Tatsächlich, warmer Kaffee! „Gibt es doch noch edle Menschen?”,
denke ich, und es kommt mir nicht geheuer vor. Als wir dann noch eine
Kleinigkeit von unserm bißchen Brot „von Hause” gegessen haben und es ganz
dunkel geworden ist, eröffnet uns das Weib: „So, Kinder, jetzt kommen russische
Soldaten und Offiziere schlafen.” Und bald ist das Haus voller Russen, die
ausgehungert wie die Wölfe sind.
Ich verlasse sofort
die große Stube, wo die meisten Menschen zusammengepfercht sind, und lege die
Kinder neben den Herd in der Küche auf den Fußboden zum Schlafen hin. Sofort
drückt mir das Pollackenweib eine Bratpfanne in die Hand: „Du so sauber
aussehen, diese Offizier sagen, Du für ihn Abendbrot machen”. Schmalz, gute
ostpreußische Rauchwurst zum Braten. Nur ist der Russe ungehalten, daß ich
nicht mit ihm mitesse. Um ihn nicht zu sehr zu erzürnen, trinke ich einige
Schlucke vom schwarzen Tee „mit Zucker”. . . . Auf seinen Befehl muß ich auch
meinen Kindern etwas von diesem lukullischen Mahl anbieten, aber die sind nicht
wach zu kriegen aus ihrem bleiernen Schlaf. — Dieser Russe ist jedenfalls ein
anständiger Mensch, er hat ein Gesicht wie ein deutscher Mann und sticht ab
gegen die teuflischen Mongolenfratzen der andern; denn als die Russen satt
sind, kommt der Schnaps heran, und man merkt, wie sie systematisch aufgehetzt
sind zum Haß und Sadismus gegen uns:
Sie zeigen nämlich
Bilder herum, wie deutsche Soldaten auf viehische Art in Rußland russische
Frauen und Mädchen ermordet haben. Und was nun folgt, ist nicht mit Worten zu
beschreiben. Wäre ich ein Komponist, würde ich diese Nacht als „Symphonie des
Grauens” schildern. — Die elende Petroleumlampe ist erloschen, alles spielt
sich im Dunkeln ab. Draußen, nicht weit fort, tobt die Front. Plötzlich ein
Brüllen und Schreien, Bitten und Beschwören bei den Vergewaltigungen.
Ein halb irrsinniger
Schrei in grauenhafter Angst: „Hilfe, Hilfe, Flüchtlinge!” — Dann scheint mir
mein Blut in den Adern zu erstarren vor Angst, als ich nebenbei in der großen
Stube den Verzweiflungsschrei einer Mutter höre: „Quält uns die Kinder nicht,”
— dann ein Brüllen und Schreien, Herausschleifen aus dem Haus, draußen ein
schrilles Quieken und stoßweises Wimmern. — Was ist los? — Ich will ins Freie.
— Die Russen, die mit uns in der Küche sind, lassen es nicht zu. Sollte es denn
tatsächlich der Fall sein, daß die Russen uns die Kinder fortnehmen, wie es die
Zeitungen in der letzten Zeit immer schrieben, — und sie uns die Kinder
womöglich quälen, oder quälen sie ein Kind, weil sich eine Mutter nicht
vergewaltigen läßt? — Da — „Jetzt kommen wir mit unsern Kindern heran”,
flüstert die Stimme eines jungen Weibes neben mir, auch in höchster Erregung.
„Unser Leben hat sowieso keinen Zweck mehr”, durchzuckt mich ein Gedanke, „Darf
ich meine Kinder bei mir behalten, bringe ich sie doch nicht durch die
Hungersnot und, wenn ja, werden beide Jungen später auch in solch braunen
Uniformen stecken, und das liebe kleine Mädel wird früh eine Prostituierte
sein, da hilft nur eins: Sterben
Doch in dieser
Symphonie des Grauens müßte immer wieder ein Motiv wiederkehren, das einen
beruhigenden, tröstenden Einfluß hätte wie z. B. das herrliche Motiv des
Pilgerchors in der Ouvertüre von
„Tannhäuser”, das die Stimmen der Unterwelt übertönt, und
mein Motiv müßte bedeuten: „Gottes große Güte ist viel größer als das Grauen,
ist größer, als du armer, elender Mensch es je begreifst.” — „Doktor”, brüllt
jemand, „zum Verbinden”, und der Lauf eines Gewehres ist auf mich gerichtet.
„Was Deine Mann?” dolmetscht ein Pollack, und einem Mißverständnis verdanke ich
mein Leben, denn meine Antwort von Kreisbauernschaft wiederholt er mit: „Er
arbeitet beim Bauern?” „Ja, beim Bauern,” sage ich; „Dann bleibst leben.” Die
nächsten Tage irren wir durch zerschossene Dörfer, wo in fast jedem bewohnbaren
Haus ein Pollack wohnt. Mein armer Kopf ist ganz wirr. Auch fällt mir das
Tragen des bald 4jährigen Gretchens sehr schwer. Gerhard und Heini sind sehr
tapfer. Beim Betteln haben wir wenig Glück. In der Gegend von Neustadt
(Westpr.) sind wir. — Ganze Avitos voll Kommißbrote finden wir, aber leider von
der deutschen Wehrmacht beim Rückzug verätzt, mit einer stinkenden Flüssigkeit
übergössen. Ich röste das Brot auf der Pfanne an. Bald bekommen wir vier
Durchfall und werden infolge der unregelmäßigen Ernährung und der Strapazen
ganz müde und elend.
Mittags, wenn wir uns
in der Sonne im Straßengraben ausruhen, sind die Kinder gar nicht mehr
weiterzubekommen. Morgens, wenn wir zerschlagen und elend in irgendeiner
Scheune aufwachen, ist den Kindern so schwindlig, daß sie beim Aufstehen immer
taumeln.
Bald sind wir total verlaust: Kopf- und Kleiderläuse. Immer
nach Osten wandern wir zurück, Flüchtlinge in großen Mengen, Ostpreußen, die
„nach Hause” gehen, denn nach Westen läßt uns der Russe nicht durch. Wir
wandern auf der Autobahn nach Dirschau. — Unvergeßlich ist mir da eine Nacht:
Den ganzen Tag im Regen gegangen, total durchnäßt, nichts Warmes im Magen, es
dunkelt, kein Haus in Sicht. Da stoßen wir auf einen großen Flüchtlingshaufen,
die sich entschließen, die Nacht im dichten Wald zu verbringen. Endlich hört
der Regen auf. Tannenzweige brechen wir ab und legen unsre einzige Decke
herauf, auf die Decke dicht aneinander lege ich die Kinder mit meinem Mantel
bedeckt (denn ich habe zum Glück den schweren, guten Mantel meines Mannes
genommen) und lege mich voller Angst neben sie: Werden sie auch diese Strapaze
überstehen? Klarer Sternenhimmel, Frost, in der Ferne das Grollen der Front,
nicht weit entfernt Hundegebell. Werden uns die Russen mit ihren Spürhunden
finden? Alle Flüchtlinge verhalten sich ganz ruhig, nur das Schreien und
Wimmern der Säuglinge, die ohne Milch ja dem Tod geweiht sind, schneidet einem
ins Herz. — Ich friere schauderhaft ohne Mantel, weiß mir aber zu helfen und
erwärme mich immer dadurch, daß ich in gewissen Abständen Kniebeugungen mache.
— Doch auch diese Nacht hat Gott uns geholfen zu überstehen.
Nur war es am Morgen
sehr schwierig, den Kindern die total gefrorenen Schuhe anzuziehen. Furchtbar
ist dieser Leidensweg „nach Hause” besonders für die alten Leute. So ist mir
und meinen Kindern besonders ein altes, einfaches Frauchen aus Schönwalde bei
Tiefensee/Zinten in Erinnerung, die sich mit Macht an uns zu klammern sucht.
Wenn wir abends in einem Elendsquartier ankommen, suche ich in wüsten Kellern
oder Mieten Kartoffeln und koche sie für uns alle ab. Ruhen wir uns am Tag
öfter am Weg aus, läuft das arme alte Weibchen mit ängstlichen, trippelnden
Schritten schon weiter, um ja mit uns mitzukommen. Verlaust und verkommen ist
sie genau so wie wir. Nach ein paar Tagen zwingt sie sich nicht weiter, ist
nicht dazu zu bewegen, wenigstens bis zum nächsten Dorf, das nicht mehr weit
ist, zur Nacht mitzukommen, bleibt unter einem Strauch an der Straße liegen. —
Bald merke ich, daß es gefährlich ist, im großen Flüchtlingszug zu gehen; denn
alle Frauen, die zur Arbeit tauglich erscheinen, werden von den Russen auf der
Straße aussortiert, verschleppt, und deren Kinder bleiben allein zurück. Eines
Abends treffe ich in einem Elendsquartier ein dickes, ordinäres Weib aus dem
Kreis Heiligenbeil, die drei rotznasige eigne Bengels und noch drei hübsche
blonde Jungen aufgelesen hat, deren Mutter verschleppt wurde.
— Diese sechs Jungen müssen am Tag bei den
Russen Brot betteln, „denn alle sechs dobrze, ruuski Soldatas werden”, erklärt
sie den Russen immer wieder. — Ich werde klug, gehe immer mit den Kindern
allein, dazu gehört viel Mut! Ist ein russischer Posten in Sicht, fange ich noch
an zu lahmen. Auf die Frage: „Frau, wo Dokumente?” ziehe ich seelenruhig meine
deutsche Kennkarte, die die Russen stets verkehrt halten. „Pascholl”, die Sache
ist erledigt. Damit ihnen mein guter Mantel nicht so begehrenswert erscheint,
habe ich oben am Aufschlag die Klappen tief durchgeschnitten, so daß bei jedem
Schritt die ausgefranste Steifleinwand auf- und zuklappt. (Es lohnt nicht, eine
Frau zu verschleppen!) Ich merke, daß die Kinder schon recht schwach geworden
sind, und auch ich bin todmüde. Wie lange werden wir diesen Elendsmarsch noch
durchhalten? — Es ist bald Ostern. „Mama, wir wollen nach Hause!” — Unser
Zuhause? — Mein Mann ist ja stets den Polen gegenüber tolerant gewesen, —
niemand hat einen Haß auf uns gehabt, — vielleicht nimmt uns ein guter Mensch
in Rokitten auf, — und wir biegen von der Hauptstraße nach Rokitten ab. Kaum
sind wir im Dorf, steht der Gewaltige von Rokitten vor uns, Balomonczek, vor
dem selbst alle Polen dort zittern, er, der sich seit 1939 als Partisan in den
Wäldern versteckt hielt und dessen Besitzung mein Mann gepachtet hatte, steht
vor mir, das Gewehr auf dem Rücken, am Arm die weiße Binde der Polen, — in
knallroten Filzpantoffeln. Das werd' ich nie vergessen:
„Frau, wo Deine Mann?!” — „Ich weiß nicht, sicher tot. Laß mich hier in
Rokitten arbeiten.” — „Fort, raus aus Rokitten, nach Dirschau zur russischen
Kommandantur Dich melden, hab' ich Befehl!” — Und dann beeindruckt ihn wohl
doch unser Elend, — sei es, daß er sich daran erinnert, daß mein Mann seine
Familie gut behandelt hatte während seiner Partisanenzeit, — jedenfalls übergab
er mich nicht der GPU., wie er es wohl hätte tun müssen, — sondern rät mir, so
schnell wie möglich in unsre Heimat Ostpreußen zu fliehen. Eine Nacht dürfen
wir sogar noch in Rokitten in einem einsamen Insthaus verbringen, allerdings
mit niemand sprechen. Als wir im Morgengrauen das Dorf verlassen, hat sich
hinter dem Dorf eine Frau versteckt, die all' die Jahre bei uns gearbeitet
hatte, Frau Czaja, und übergibt mir für jeden ein Stück Brot und drei schöne
Eier, obgleich das für sie nicht ungefährlich war. Nur schnell über die
Weichsel! Das ist leichter gesagt als getan, denn die Eisenbahnbrücke dicht an
der Stadt ist gesprengt, ebenso die „Kniebauer- brücke, die unsre Deutschen
nach dem Polenfeldzug gebaut haben. So bleibt uns nichts andres übrig, als die
60 Kilometer südlich von Dirschau entfernte Brücke in Mewe zu benutzen. — Viele
Pollacken setzen die Ostpreußen mit Ruderbooten über den Fluß, aber nur gegen
mindestens zehn Pfund Speck.
Wir haben keine
Chancen, weil wir nichts besitzen. — Doch wie erstaunt und wie erfreut sind
wir, als uns bei Klein-Schlanz (20 Kilometer südlich Dirschau) ein Pole auf
seinem vollgepackten Boot mitnimmt, obgleich wir ihn gar nicht darum gebeten
haben. Zum Dank gebe ich ihm meine schöne Angora-Strick-jacke, die ich anhabe.
Verlaust ist sie sowieso! Bis über die Knie versinke ich im Schlamm, als ich am
andern Ufer meine drei Kinder an Land trage. Hochwasser an der Weichsel!
„Gerettet von den Pollacken”, denke ich. Wir sind in Ostpreußen! Doch nach
einigen Minuten sprengt ein Russe auf einem Pferd auf uns zu. „Dawai, dawai”,
nicht schnell genug können wir ihm laufen bis zum nächsten Dorf. Heini weint
immerfort, solche Stiche hat er in der Brust. — Wieder auf die russische
Kommandantur zum Ausplündern. Bei uns ist nichts mehr zu holen. — Wir sind
jetzt so erschöpft, daß wir zwei bis drei Tage hier in Groß Montau (denke ich,
hieß das Dorf) bleiben. Es sind noch Kartoffeln in den Mieten, und die Kinder
schlafen auch am Tag wie tot, hausen in einem wüsten Haus mit andern
Flüchtlingen. Die Nächte sind hier ruhig, die russische Kommandantur ist in der
Nähe, und der Kommandant muß wohl ein vernünftiger Mensch sein. Eines Abends
spricht mich eine Flüchtlingsfrau (Anfang 50) an. Ich wundere mich, daß sie so
undeutlich durch die Nase spricht.
Wir kommen ins
Gespräch: Bezirksbauernführer wäre ihr Mann gewesen im Gr. Werder (Delta
zwischen Weichselarm und Nogat). Als die Russen sie vergewaltigten, wäre ihr
Mann ihr zu Hilfe geeilt. Dafür hätten sie ihr das Nasenbein eingeschlagen. Auf
der Kniebauerbrücke hätte sie gestern mit ihrem Mann gestanden: „Laß uns
runterspringen, dann hat die Qual ein Ende”, hat er sie gebeten. Doch der
Gedanke an ihre Kinder hat es verhindert.
— Nun ist sie so
unglücklich, daß sie es nicht zugelassen hat, denn eben haben sie ihren Mann
fortgenommen, im Keller der Molkerei sitzt er. Um sie zu trösten, gebe ich ihr
von meinem erbettelten Fleisch und Milch ab, denn meine Kinder sind heute so
elend, daß sie nichts essen können, und ich denke, was ich heute abgebe, gibt
Gott mir morgen wieder, und erfreut schleicht sie sich abends im Dunkeln fort,
um ihrem Mann etwas durchs vergitterte Kellerfenster zu geben. — Dann gehe ich
mit den Kindern die Autobahn entlang, in Richtung Marienburg. Es ist immer
dasselbe Bild auf diesem Weg des Elends: Auf der einen Seite des Weges, fast
dicht am Chausseegraben, wandern wir Flüchtlinge ostwärts, viele haben ihr
elendes Gepäck auf Handwagen, Kinderwagen oder Kindersportwagen geladen, ein
Pferdefuhrwerk der Flüchtlinge sieht man jedenfalls niemals. In der Mitte der
Straße braust rücksichtslos fahrend der russische Nachschub mit Lastautos, auf
die vielfach Schlauchboote geladen sind. Fast jedes Lastauto hat ein Geschütz
angehängt.
Natürlich fahren
russische LKWs. auch in entgegengesetzter Richtung, von Westen nach Osten. In
einem Siedlungshaus außerhalb von Marienburg „organisieren” wir uns auch einen
stabilen Handwagen und Federbetten. Die kleine Gretchen und den sehr elend
gewordenen Heini setzen wir in die Betten, der tapfere Gerhard zieht an der
Deichsel, und ich schiebe unser elendes Gefährt. Über das verschossene Elbing
und das wüste Braunsberg gelangen wir nach Heiligenbeil, wo ich 14 Tage
freiwillig bei den Russen arbeite, weil es dort dafür etwas Brot und etwas
stinkendes altes Pferdefleisch gibt. Zum 1. Mai müssen wir hier die Straßen
schön fegen, und wir erleben dann wieder die Besoffenheit der roten Sieger mit
den üblichen Begleiterscheinungen. Von Heiligenbeil an gleicht Ostpreußen einer
Wüste (d. h. gleich hinter der Weichsel waren alle Höfe leer, wenn nicht
zufällig gerade ein Pole oben war als Besitzer). Jetzt sind wir in einer
richtigen Wüste: Keine Kuh, kein Pferd, kein Schwein, kein Huhn, keine Taube,
kein Kaninchen, leere Bienenstöcke, ganz öde, verlassene, zerschossene Dörfer,
10-20 Kilometer wandern wir, ohne ein menschliches Wesen zu sehen, höchstens
streicht eine verwilderte Katze über die Straße. Mir ist oft himmelangst, mein
Herz ist auch wohl nicht mehr ganz in Ordnung. Über Zinten, Kanditten,
Landsberg/Ostpr. landen wir endlich am 8. Mai 1945 in unserm lieben Schönwiese.
aufgeschrieben: 1952
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